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Beitrag vom 07.03.2005
8. März - Grund zum Feiern? - Antworten von Irmingard Schewe-Gerigk
Ilka Fleischer
Im E-Interview stellte sich auch Irmingard Schewe-Gerigk, MdB, Frauen- und familienpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN, unseren 8 Fragen zum 8. März.
Ilka Fleischer: Seit dem ersten Internationalen Frauentag 1911 gab es im vergangenen Jahrhundert für deutsche Frauen nicht nur Anlass zu Kritik, sondern auch gute Gründe zum Feiern, allen voran die Durchsetzung des Frauenwahlrechts 1918. Was waren aus Ihrer Sicht bislang die größten Erfolge oder Fortschritte für Frauen im dritten Jahrtausend - nicht nur, aber auch in Ihrer Partei?
Irmingard Schewe-Gerigk: Fortschritte in der Frauenpolitik sind heute nicht mehr so revolutionär wie die Durchsetzung des Frauenwahlrechts. Im Bereich Gewalt gegen Frauen haben wir viel erreicht: Die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe, das eigenständige Aufenthaltsrecht für Migrantinnen infolge von Gewalt, das Gewaltschutzgesetz, wonach die Frau in der Wohnung bleiben kann und der Täter gehen muss und das ausdrücklichen Verbot der Zwangsverheiratung im Strafgesetzbuch.
Daneben geht es um die eigenständige Existenzsicherung und die Verteilung von Macht und Geld. Da wird natürlich mit harten Bandagen gekämpft. Das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst ist vorbildlich und gilt nun auch für die Bundeswehr. Das war für diesen Männerverein nicht leicht zu schlucken.
Ilka Fleischer: "Brot und Rosen!" - Brot zum Leben und Rosen, damit sich das Leben lohnt - forderten Textilarbeiterinnen 1912 im Streik gegen Hungerlöhne in den USA noch recht bescheiden. Inzwischen wollen viele Frauen wesentlich mehr: Nach Gittes Song "Ich will alles" Anfang der 80er Jahre titelte die Bestsellerautorin Maeve Haran kürzlich "Alles ist nicht genug". Werden Frauen allmählich maßlos in ihren Forderungen?
Irmingard Schewe-Gerigk: Das zu behaupten ist absurd. Heute arbeiten nur 10 Prozent der Frauen in Führungspositionen, sprechen wir vom Topmanagement großer Unternehmen, dann sind es noch vier Prozent. Ähnlich sieht es bei den Professuren aus, hier sind 13Prozent Frauen. Selbst im gleichen Job verdienen Frauen weniger als Männer. Sie sind immer noch die Hauptverantwortlichen für Kinder und Haushalt und stellen einen Großteil der von Armut betroffenen Haushalte. Hier wäre es eigentlich an der Zeit, maßlose Forderungen zu stellen. Denn: bliebe das Tempo der Gleichstellung so wie bisher, müssten die Frauen bis zum Jahre 2312 warten, um in allen Bereichen genauso vertreten zu sein wie Männer.
Ilka Fleischer: Valerie Solanas, behauptete 1968 in ihrem Manifest "Society for Cutting up Men", Männer wären aufgrund der Chromosomstruktur unvollständige Frauen und versuchten daher ihr Leben lang, sich zu vervollkommnen. Gibt es zwischen Mann und Frau Unterschiede, die Sie für "naturbedingt" halten?
Irmingard Schewe-Gerigk: Eigentlich dachte ich ja, so manchen Unsinn müssten wir heute nicht mehr diskutieren. Weder sind Frauen die besseren Menschen, noch konnte bisher irgendjemand nachweisen, dass männliche Gehirne für die Naturwissenschaften besser beschaffen sind. Dennoch wurde diese These erst kürzlich wieder vom Präsidenten der Harvard -Universität aufgestellt. Er sollte sich lieber erst mal Gedanken über die "äußeren Umstände" machen. Nach wie vor ist beispielsweise die Erziehung zu weiblichen und männlichen Rollenmustern ungebrochen. Die jungen Frauen haben auch keine Vorbilder, weil es ja kaum Professorinnen in den Naturwissenschaften gibt.
Ilka Fleischer: Norbert Blüm hat sich einmal neidisch auf "die Firma Mutter und Kind, die sich in den neun Monaten der Schwangerschaft bildet" geäußert und bedauerte, dass Männer dagegen nie "ankommen". Worauf sind Sie bei Männern "neidisch"? Was würde Ihnen bei einem Rollentausch besonders gut gefallen?
Irmingard Schewe-Gerigk: Ich bin überhaupt nicht neidisch auf Männer und möchte auch nicht tauschen. Die von vielen praktizierte einseitige Orientierung auf Erwerbsarbeit macht ein Männerleben doch arm. Inzwischen haben ja auch einige Männer der jüngeren Generation erkannt, dass die Beteiligung an der Kindererziehung für sie eine Bereicherung darstellt. Das Ende der vaterlosen Gesellschaft können wir allerdings noch nicht proklamieren.
Ilka Fleischer: "Frau allein ist noch kein Argument, es muss auch noch was zwischen den Ohren sitzen", behauptet Heide Simonis. Aber auch: "Politik ist der Sieg des Hinterns über das Gehirn". Welche Voraussetzungen müssen Frauen in der Politik also mitbringen?
Irmingard Schewe-Gerigk: Solange wir es nicht geschafft haben, die Strukturen zu verändern, müssen Frauen die gleichen Voraussetzungen mitbringen, die auch Männer idealerweise mitbringen sollten. Den Willen zur Macht, aber nicht als Selbstzweck, sondern zur Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse. Außerdem: Ausdauer - manche Gesetze brauchen 25 Jahre. Einen nicht selbstzerstörerischen Umgang mit Niederlagen. Hier können Frauen von Männern lernen, Niederlagen "sportlicher" zu nehmen, ohne das Ziel aufzugeben.
Ilka Fleischer: Während Gerhard Schröder laut Infratest bei Frauen populärer ist als bei Männern, schneidet Edmund Stoiber bei Männern besser ab. Was müsste Herr Stoiber verändern, um bei Frauen einen höheren Beliebtheitsgrad zu erlangen? Oder allgemeiner: Was schätzen Frauen an PolitikerInnen?
Irmingard Schewe-Gerigk: Frauen schätzen die Glaubwürdigkeit. Sie merken sehr schnell, ob jemand authentisch ist. Edmund Stoiber könnte machen, was er wollte. Weder verkörpert er den Politikertyp, für den die Rechte von Frauen irgendeine Rolle spielen, noch steht er für eine moderne Gesellschaftspolitik. Da hilft auch kein Trainingscamp. Gerhard Schröder trauen die Frauen offensichtlich eher zu, sich für ihre Interessen einzusetzen, obwohl er die klassische Alleinernährerfamilie lebt. Vielleicht gilt ja auch das Sprichwort: "Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau, die ihm den Rücken stärkt." Nicht ganz so positiv ist der Umkehrschluss für Frauen: "Jeder erfolgreichen Frau sitzen mehrere Männer im Nacken, um sie zu Fall zu bringen." Hierzu gibt es ja derzeit geradezu ein Paradebeispiel in Gestalt von Frau Merkel.
Ilka Fleischer: Nach einer Studie zum Verhalten der BundesbürgerInnen im Haushalt werden 80 % der Hausarbeit immer noch von Frauen bewältigt. Nur 1,2 % der Männer putzen das Klo selbst. 73,3 % der Männer sind allerdings der Meinung, dass die Arbeit im Haushalt gerecht verteilt sei. Was bleibt - neben Gendermainstreaming - auf der politischen Ebene zu tun, und worin bestehen Ihres Erachtens die größten Fallstricke?
Irmingard Schewe-Gerigk: Auch wenn es noch so viele Studien gibt, die das Gegenteil behaupten: Männer haben eine sehr eingeschränkte Wahrnehmung dessen, was sie im Hause tun. Ich selbst habe mal die Republik aufgeregt, indem ich gefordert habe, dass wir in das Bürgerliche Gesetzbuch aufnehmen, dass die Hausarbeit eine gemeinsame Tätigkeit der Ehegatten ist. Ich kann den Frauen nur raten, die Aufgaben klar zu verteilen und dann auch hart zu bleiben. Wenn der Mülleimer dann überquillt, muss sich "frau" nicht erbarmen, sie kann ja einfach eine zweite Tüte daneben stellen.
Ilka Fleischer: Die Frau der Zukunft stellte sich August Bebel als "Herrin ihrer Geschicke" vor, die "sozial und ökonomisch vollkommen unabhängig" sei. Wer verkörpert für Sie warum heutzutage die "Frau der Zukunft"? Natürlich können Sie uns auch gerne verraten, wen sie für altmodisch halten...
Irmingard Schewe-Gerigk: Frau der Zukunft ist natürlich sehr hoch gegriffen. Mir gefällt Hillary Clinton: Sie geht unabhängig von gesellschaftlichen Veränderungen ihren Weg, Mit diesem Verhalten nähert sie sich - so hoffe ich - unaufhaltsam ihrer Kandidatur zur ersten weiblichen Präsidentschaftskandidatin.
Für altmodisch halte ich Annette Schavan. Sie wehrt sich gegen alle Gesetze, die eine gesellschaftliche Modernisierung bedeuten würden. Und das, obwohl sie doch die Keule des Patriarchats am eigenen Leibe zu spüren bekommen hat.
Neben Irmingard Schewe-Gerigk nahmen 11 weitere PolitikerInnen an der elektronischen Befragung teil. Mit kleineren Abweichungen erhielten alle Interview-PartnerInnen den gleichen Fragenkatalog - und beantworteten unsere 8 Fragen zum 8. März in großer Vielfalt. Um die kompletten Beiträge zu lesen, klicken Sie bitte auf die Namen der einzelnen Interview-PartnerInnen:
- Evrim Baba, frauenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im AGH von Berlin
- Edelgard Bulmahn , Bundesministerin für Bildung und Forschung
- Maria Eichhorn, MdB, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der CDU/CSU-Fraktion
- Dagmar Enkelmann, stellvertretende Vorsitzende der PDS
- Ingrid Hofmann, Präsidiums-Mitglied in der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA)
- Christel Humme, MdB, Familien-, senioren-, frauen- und jugendpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
- Ina Lenke, MdB, Familien-, frauen- und zivildienstpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Bundesvorsitzende der Liberalen Frauen
- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, MdB, Bundesministerin a.D., Europapolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion
- Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- Klaus Wowereit , Regierender Bürgermeister von Berlin
- Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz